Stellungnahmen

  1. Erste StellungnahmeMehr Sozial- und Verhaltenswissenschaft in politische Maßnahmen bringen - für bessere Gesundheit für alle
  2. Zweite Stellungnahme:  Stellungnahme des Netzwerks Behavioural Science Connect zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit

Mehr Sozial- und Verhaltenswissenschaft in politische Maßnahmen bringen - für bessere Gesundheit für alle

Wir sind ein Netzwerk von Wissenschaftler*innen und möchten mehr Sozial- und Verhaltenswissenschaft in politische Maßnahmen bringen - für bessere Gesundheit für alle.

Gesundheit wird entscheidend von menschlichem Verhalten geprägt. Sozial- und Verhaltenswissenschaften verfügen über einen großen Wissensschatz, wie Personenfaktoren und Lebensverhältnisse dieses Verhalten und damit auch die Gesundheit von Individuen und Gruppen zum Besseren beeinflussen. Gesundheitspolitik kann von dieser Evidenz profitieren.

Denn wenn diese Erkenntnisse genutzt werden, kann Gesundheit für alle besser werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es erstklassige Forschungseinrichtungen, und die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass politische Entscheidungsträger auf exzellente aktuelle Evidenz zurückgreifen, um optimale Ergebnisse für die Gesundheit der Bevölkerung und gesundheitliche Chancengleichheit zu erreichen.

Menschliches Verhalten und die Bedingungen, die es beeinflussen, sind Gegenstand vieler wissenschaftlicher Disziplinen – z.B. der Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Ökonomie, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft oder Kognitionswissenschaft. Die Veränderung hin zu gesundheitsförderlichem Verhalten spielt außerdem auch in Disziplinen eine wichtige Rolle, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit Gesundheit, Gesundheitsförderung und Prävention befassen: Public Health, Sport- und Ernährungswissenschaft, Epidemiologie, Versorgungsforschung, Gesundheitskommunikation, Medizinsoziologie oder medizinische Anthropologie. 

In diesem Netzwerk verbinden sich Wissenschaftler*innen aus vielen dieser Disziplinen. Der Einbezug vieler Disziplinen berücksichtigt, dass verhaltens- und sozialwissenschaftliche Maßnahmengestaltung Einflussfaktoren auf sozialer, struktureller und umweltbezogener Ebene im Blick hat.

Wir sind unabhängige Wissenschaftler*innen und haben keine Interessenskonflikte, sondern sind den höchsten wissenschaftlichen Standards verpflichtet.

Wir setzen uns dafür ein, dass Entscheidungen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen beeinflussen, auf der Basis der besten wissenschaftlichen Evidenz getroffen werden.

Dafür fordert das Netzwerk die für Gesundheitspolitik Verantwortlichen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf:   

Verhaltens- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse sollen systematisch und routinemäßig für die Gestaltung politischer Entscheidungen, dazugehörige Gesundheitsmaßnahmen und erklärende Kommunikation eingesetzt werden.

● Wissenschafts-, Gesundheits- und Klimakommunikation sollen auf der Basis von verhaltens- und sozialwissenschaftlicher Evidenz     gestaltet werden.

● Die Planung von Gesundheitsmaßnahmen soll berücksichtigen, dass die verhaltensbezogenen Einflussfaktoren oftmals auf der   Ebene von Verhältnissen und Strukturen wirksam werden, so dass ressortübergreifende Lösungen auf Systemebene zielführend   sind.

● Es sollen Rahmenbedingungen für eine verhaltens- und sozialwissenschaftlich fundierte, evidenz- und theoriebasierte Gestaltung   struktureller und kommunikativer Maßnahmen geschaffen werden. Hierfür sollen die notwendigen Kompetenzen und   Infrastrukturmaßnahmen in Politik, Verwaltung und Forschung aufgebaut und gestärkt werden. 

● Wissenschaftliche Beiräte und beratende Kommissionen müssen routinemäßig auch mit Vertreter*innen der Sozial- und   Verhaltenswissenschaften besetzt werden, die Verhalten, das Zusammenspiel von strukturellen und psychologischen   Einflussfaktoren und die Voraussetzungen für Verhaltensänderung und/oder Kommunikation erforschen. Wissenschaftler*innen   aus diesen Bereichen können auch auf vulnerable Gruppen aufmerksam machen und helfen, psychosoziale Folgen von   Maßnahmen abzuschätzen.

● Bei der Entwicklung und Umsetzung struktureller und/oder kommunikativer Maßnahmen sollen verbindlich Bürger*innen und   Stakeholder aktiv einbezogen werden. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf denen sein, die strukturell benachteiligt sind.

● Maßnahmen, die mit verhaltens- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse geplant wurden, sollen systematisch mit Hilfe   rigoroser wissenschaftlicher Methoden evaluiert werden, hinsichtlich Prozessen, Wirksamkeit und möglichen Nebenwirkungen.  

Diese Stellungnahme wurde gemeinsam erarbeitet und 2023 verabschiedet.  



Stellungnahme des Netzwerks Behavioural Science Connect zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit 

Das Netzwerk Behavioural Science Connect dankt für die Einladung zur Stellungnahme.
Im Netzwerk Behavioural Science Connect verbinden sich Wissenschaftler*innen aus vielen verschiedenen Bereichen, denn menschliches Verhalten und die Bedingungen, die es beeinflussen, sind Gegenstand vieler wissenschaftlicher Disziplinen—z.B. der Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Ökonomie, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft oder Kognitionswissenschaft. Die Veränderung hin zu gesundheitsförderlichem Verhalten spielt außerdem auch in Disziplinen eine wichtige Rolle, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit Gesundheit, Gesundheitsförderung und Prävention befassen: Public Health, Sport- und Ernährungswissenschaft, Epidemiologie, Versorgungsforschung, Gesundheitskommunikation, Medizinsoziologie oder medizinische Anthropologie. Der Einbezug vieler Disziplinen berücksichtigt, dass verhaltens- und sozialwissenschaftliche Maßnahmengestaltung Einflussfaktoren auf sozialer, struktureller und umweltbezogener Ebene im Blick haben.
Wir sind unabhängige Wissenschaftler*innen und haben keine Interessenskonflikte, sondern sind den höchsten wissenschaftlichen Standards verpflichtet.

Übergeordnete Kommentare
Das Netzwerk Behavioural Science Connect begrüßt den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit. Im Folgen verweisen wir auf aus unserer Sicht relevante Aspekte, die bislang nicht ausreichend berücksichtigt wurden:

● Gute Gesundheitspolitik profitiert von Evidenz und guter Datengrundlage. In vielen Gesundheitsbereichen trägt individuelles Verhalten auch zur Gesundheit aller bei. Deshalb müssen verhaltens- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und Evidenzen im neuen Institut systematisch erhoben, analysiert und mit anderen Gesundheitsdaten verknüpft werden. Auf diesen Erkenntnissen sollen künftig Entscheidungen und Maßnahmen für die Planung von Maßnahmen und Gesundheits- und Krisenkommunikation aufgesetzt und gesundheitsförderliches Verhalten erleichtert werden. Dies lässt sich zwar aus der Begründung erahnen, findet sich jedoch in den Aufgaben des BIPAM nicht ausreichend wieder.

● Wir begrüßen, dass das neue Institut einen Schwerpunkt auf evidenzbasierte, zielgruppenspezifische Gesundheits-, Risiko- und Krisenkommunikation setzt. Ferner begrüßen wir die Vernetzung unterschiedlicher Akteure von Wissenschaft, Praxis und Politik. Für bessere Wirksamkeit sollte Wissenschafts-, Gesundheits-, und Klimakommunikation auf der Basis von verhaltens- und sozialwissenschaftlicher Evidenz gestaltet werden. Hierfür sollen Rahmenbedingungen für eine verhaltens- und sozialwissenschaftlich fundierte, evidenz- und theoriebasierte Gestaltung struktureller und kommunikativer Maßnahmen geschaffen werden. Die notwendigen Expertisen, Kompetenzen und Infrastrukturmaßnahmen in Politik, Verwaltung und Forschung sollen aufgebaut und gestärkt werden. Als Mindestanforderungen ist eine ‘Behavioural Insights Unit’ im neuen Institut zu nennen (dies wurde auch von Deutschland durch Verabschiedung der WHO Resolution zu Behavioural and Cultural Insights im Jahr 2022 so bekräftigt) mit einem entsprechenden Spiegelreferat im Bundesgesundheitsministerium, sowie Mittel und Infrastruktur, um regelmäßig gesundheitsbezogene Verhaltensdaten erheben und analysieren zu können.

● Wichtigster Punkt: Sowohl für die Generierung evidenzbasierter sozial- und verhaltenswissenschaftlicher Daten als auch für eine zielgruppenspezifische Gesundheits-, Risiko-, und Krisenkommunikation und evidenzbasierte Maßnahmengestaltung braucht es finanzielle Ressourcen. Die veranschlagten Mittel reichen nicht aus, um bestehendes Personal weiterzubilden und notwendiges neues Personal für den ganzen Public Health Action Cycle zu finanzieren. Insbesondere fehlen Kapazitäten im Bereich der Behavioural Insights (= aus Datenanalyse Interventionen designen) und der Implementierung (konkretes Ausrollen) sowie in der Evaluation. Ohne ausreichende Mittel, die als Investition in die Prävention von Krankheit und damit als langfristige Kosteneinsparung verstanden werden kann, ist keine grundlegende Veränderung erreichbar.

● Ebenso braucht es mehr finanzielle Ressourcen für Prävention. Es herrscht eine starke Imbalance zwischen der Finanzierung von Behandlungen (z.B. zur Behandlung von hohen Cholesterinwerten) und der Finanzierung von Präventionsmaßnahmen und -angeboten, die dazu beitragen können, z.B. die Prävalenz hoher Cholesterinwerte zu verringern.

● Die an die Öffentlichkeit gerichtete Plattform des BIPAM sollte DER Ort in Deutschland sein, in dem die Bevölkerung gesichertes, verständliches, zielgruppenspezifisch angebotenes Wissen zu Prävention und Gesundheit findet. Es sollte daher darauf geachtet werden, dass durch die Einrichtung des BIPAM die Kommunikation zu ALLEN gesundheitlichen Themen auf dieselben guten methodischen Grundsätze gestellt wird. Dies betrifft auch Themen, die nicht zwingend im Bereich des BMG liegen (z.B. Ernährung). Hierzu zählt auch ein Informationsangebot zu Angeboten zur Prävention der GKV oder DiGAS (z.B. durch gezielte Schritt-für-Schritt-Informationen, wie Versicherungsnehmende diese Leistungen in Anspruch nehmen können).

● Das BIPAM sollte in Deutschland die Stelle sein, die internationale Guidelines zur Förderung der Gesundheit unter Einhaltung internationaler Gesundheitsziele umsetzt und Reportings in den Bereichen Gesundheitsförderung, Gesundheitskommunikation und Gesundheitskompetenz übernimmt. Zu nennen sind hier z.B. Anpassung und Umsetzung internationaler Resolutionen zu Behavioural and Cultural Insights, Health in all policies, und die SDGs der Vereinten Nationen. Es fehlt sonst an einem operativen Arm, der die internationalen Guidelines, zu denen Deutschland zugestimmt hat, auch umsetzt.

● Die evidenzbasierte Beratung des Bundesgesundheitsministeriums und der Bundesregierung hinsichtlich notwendiger Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, Stärkung der Gesundheitskommunikation und Gesundheitskompetenz sollten als weitere zentrale Aufgaben des BIPAM
 aufgenommen werden. Dies ermöglicht dem Institut, auf der Basis der Gesundheitsberichterstattung und der vorliegenden Daten Gesetzesinitiativen zu unterstützen (z.B. auch im Sinne eines Health in all policies Ansatzes) oder in Krisensituationen z.B. zum Thema Kommunikation zu beraten.

● Krisenkommunikation sollte auch zu den Aufgaben gehören, diese fehlt jedoch. Dieser Aspekt wird im Referentenentwurf auch betont („dass für ein effektives Krisenmanagement die Notwendigkeit einer Zentralisierung und Vereinheitlichung im ÖGD in den Bereichen Datenerfassung, Kommunikation und insbesondere Qualifikation des Personals notwendig sei“). Diese Kompetenz muss dauerhaft aufgebaut und weiterentwickelt werden; dazu sind u.a. auch Monitoring-Daten notwendig, daher sollte diese Kompetenz im BIPAM angesiedelt sein.

● Im Begründungstext wird betont, dass moderne und agile Methoden eingesetzt werden, um insbesondere “gesundheitlich verletzliche (vulnerable) Gruppen passgenau zu erreichen (zum Beispiel unter Berücksichtigung von „Behavioural and Cultural Insights"). Auch der Umgang mit Falschinformationen wird ein wichtiger Bestandteil sein, um es Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, die Qualität von Gesundheitsinformationen leichter zu bewerten.” Diese wichtigen Bausteine sollten auch im Gesetz in den Aufgaben des Instituts (§2, z.B. in Ergänzung zu Punkt 5) festgeschrieben werden.

● Etwa ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung sind im zurückliegenden Jahr bundesweit von mindestens einer psychischen Erkrankung betroffen gewesen. Die Berichte der Krankenkassen zeigen, dass immer mehr Krankheitstage auf psychische Erkrankungen entfallen. Bereits jetzt sind psychische Erkrankungen für etwa 17% aller krankheitsbedingten Ausfalltage verantwortlich und somit eine der Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit. Daher sollten psychische Erkrankungen in der einleitenden Darstellung der Relevanz im Referentenentwurf mit aufgenommen werden. Das BIPAM als Institut für öffentliche Gesundheit sollte eine umfassende Präventionsstrategie verfolgen, die neben körperlichen auch psychischen Erkrankungen explizit berücksichtigt.

● Das Institut soll wissenschaftlich und politisch unabhängig sein, um maximal vertrauenswürdige Kommunikation und Maßnahmen(-beratung) zu verantworten. Vertrauen hat sich z.B. in der Pandemie in vielen Ländern als der wesentliche Einflussfaktor auf die Inanspruchnahme und Wirksamkeit von Maßnahmen wie Impfungen gezeigt. Politische Unabhängigkeit kann zu einem erhöhten Vertrauen beitragen. Diese Empfehlung gibt auch die 5. Stellungnahme des Corona ExpertInnenrates (https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/2002168/4251476198ffd2a0 af663fd90c29240f/2022-01-30-fuenfte-stellungnahme-expertenrat- data.pdf?download=1)

● Der im Entwurf verwendete Begriff “Gesundheitserziehung” ist veraltet und bedarf einer näheren Spezifizierung. Wir plädieren für folgende Formulierung: “Maßnahmen zur Gesundheitsausbildung”.

● Durch eine verbesserte Prävention, die Ziel des BIPAM ist, sind Kostensenkungen im Gesundheitssystem zu erwarten. Aktuell gibt das Deutsche Gesundheitssystem fast 6000 Euro pro Person und Jahr aus. Wir empfehlen eine Modellrechnung, wie viel Kosten durch bessere Prävention gespart werden können, denn durch eine größere Befähigung zu mehr Gesundheitsverhalten ist langfristig mit einer Reduktion der Gesundheitskosten allgemein zu rechnen. Dabei ist es auch sinnvoll, auf eine Ersparnis der Länder und Kommunen hinzuweisen, wenn übergreifende evidenzbasierte Gesundheitsinformationen und -angebote bereitgestellt und zur Nutzung angeboten werden.

● Wir votieren dafür, dass das BIPAM künftig eine feste und beratende Funktion in der STIKO erhält. So wird Wissen über die Ursachen von Impflücken in die Entscheidungsfindung mit einbezogen, außerdem können so neue Empfehlungen kommunikativ vorbereitet werden.

● Wir schlagen eine Namensänderung des Instituts vor, da “Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin, BIPAM” von einer einseitigen und verengten rein medizinischen Perspektive auf die öffentliche Gesundheit ausgeht und nicht das ganzheitliche Bild öffentlicher Gesundheit abbildet. Eine ganzheitliche Gesundheitsförderung erfordert das Mitwirken verschiedenster Disziplinen wie beispielsweise Psychologie, Kommunikationswissenschaft, Public Health, Versorgungsforschung, etc., (siehe einleitender Absatz oben).
○ Vorschlag 1: Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit BIOG oder BIÖG
○ Vorschlag 2: Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung zur Gesundheitsförderung BIPAG

Die Stellungnahme wurde gemeinsam im Juli 2024 erarbeitet.

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